Vitamine, Infusionen und Nahrungsergänzungsmittel: Wann sie nötig sind und wann nicht

Von Moritz Döring - 17. März 2024

„Frau Doktor, was kann ich für mein Immunsystem tun?“

Diesen Satz hören wir in unserer Praxis sehr häufig. Die Antwort darauf ist relativ langweilig: Bewegen Sie sich regelmäßig an der frischen Luft, trinken Sie genügend kalorienarme Getränke wie Wasser oder ungesüßten Tee, essen Sie nicht zu kalorienreich und vermeiden Sie Übergewicht, nehmen Sie 3 bis 4 Portionen Gemüse (unter anderem Brokkoli, Linsen, Bohnen etc.) und 1 bis 2 Portionen Obst (unter anderem Heidelbeeren, Himbeeren etc.) täglich zu sich. Verzehren Sie täglich eine Portion Nüsse (Walnüsse, Pistazien, Mandeln im Wechsel), aufgrund der radioaktiven Belastung sollten nur 1 bis 2 Paranüsse pro Tag zu sich genommen werden. Eine Portion entspricht dabei etwa einer Handvoll ihrer Handgröße. Essen Sie nicht zu viel rotes Fleisch, Fertigprodukte und Zucker. Reduzieren Sie Stress, beispielsweise durch Meditationen, Entspannungstechniken oder Atemübungen.

Viele Menschen möchten sich außerdem mit Vitaminen, Präparaten, Infusionen und Nahrungsergänzungmitteln etwas Gutes tun. Vom heutigen wissenschaftlichen Stand sind diese allerdings nur in ganz bestimmten Situationen nötig. Die meisten Menschen kennen den Tagesbedarf vieler Vitamine, Mineralstoffe und Proteinen nicht. Aktuelle Empfehlungen werden von der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) aufgestellt, die laufend aktualisiert werden. Unter dem folgenden Link können Sie sich den Tagesbedarf aller wichtigsten Nährstoffe laut der DGE selbst anschauen: https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/

Im Folgenden gehen wir im Speziellen auf das Beispiel Vitamin B12 ein. Die DGE empfiehlt für Kinder zwischen 4 und 9 Jahren 2,0 bis 2,5 µg (Mikrogramm)/Tag, für Kinder zwischen 10 und 12 Jahren 3,5 µg/Tag und für Jugendliche und Erwachsene ab 13 Jahren 4 µg/Tag.

Es gibt Situationen im Leben, in denen der Tagesbedarf an Vitaminen erhöht ist: Dazu zählen unter anderem die Schwangerschaft, die Stillzeit, Alter über 65 Jahren und vegetarische oder vegane Ernährung. Für Veganer empfiehlt es sich, dauerhaft ein Vitamin B12-Präparat einzunehmen und den Spiegel regelmäßig beim Arzt überprüfen zu lassen. Während der Schwangerschaft, Stillzeit, sowie im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter wird eine vegane Ernährung von der DGE nicht empfohlen. Bei den Nährstoffen Protein, n-3-Fettsäuren, Vitamin D, Riboflavin, Calcium, Eisen, Jod, Zink und Selen sollte bei einer veganen Ernährung ebenfalls auf eine regelmäßige Einnahme geachtet werden, gegebenenfalls durch Zusatzpräparate. Außerdem können auch nährstoffdichte und angereicherte Lebensmittel zu sich genommen werden, um diese Versorgung zu gewährleisten. Bei Säuglingen, die ausschließlich von sich vegan ernährenden Müttern gestillt wurden, konnte ein Vitamin B12-Mangel festgestellt werden (Quelle: https://www.dge.de/gesunde-ernaehrung/faq/faqs-vegane-ernaerung/#c3376). Dabei zeigten sich innerhalb der ersten Lebensmonate der Säuglinge neurologische Probleme und Blutmangel (megaloblastische Anämie).

Trends zu Vitamin-Infusionen oder hochdosierten Vitamin-Tabletten gab es schon immer mal wieder. Auch heutzutage gibt es Anbieter, die hochdosierte und kostspielige Infusionen dieser Art anbieten, teilweise sogar regelmäßig oder wöchentlich. Die Verantwortung wird dabei auf den Verbraucher abgewälzt oder die Heilpraktikerin, welche die Infusion verabreicht. Bei einem gesunden Menschen ist beispielsweise ein Vitamin B12-Mangel relativ selten. Das deutsche Krebsforschungszentrum berichtet laut der nationalen Verzehrstudie II bundesweit, dass die Zufuhr von Vitamin B6 und B12 in der deutschen Bevölkerung in allen Altersgruppen bereits über den Empfehlungen der DGE liegt (Quelle: https://www.krebsinformationsdienst.de/fachkreise/nachrichten/2019/fk16-vorbeugen-vitamin-b-Lungenkrebs.php). Bei sich „normal“ ernährenden Menschen liegt ein Mangel somit nicht vor. Bei Erwachsenen liegt der Vitamin B12-Speicher bei 2,5 mg, wovon 1 mg in der Leber gespeichert wird. Dadurch wird der Bedarf für 3-4 Jahre ausreichend gedeckt. Selbst wenn man sich eine längere Zeit lang nicht an die empfohlenen Referenzwerte hält, kann der Körper durch das gespeicherte Vitamin B12 diesen Mangel somit kompensieren.

Wer trotzdem zu Vitamin-Präparaten oder Infusionen greifen möchte, sollte sich an den Referenzwerten der DGE orientieren, die wir oben verlinkt haben. Bei einigen Vitamin-Infusionen liegt die verabreichte Menge von Vitamin B12 (Methylcobalamin) beispielsweise bei 2,5 mg, umgerechnet also 2500 µg. Schaut man sich den Tagesbedarf an Vitamin B12 laut der DGE an, liegt dieser allerdings nur bei 4 µg. Somit werden durch die Infusion 625 Tagesdosen Vitamin B12 innerhalb von 20 bis 40 Minuten in die Vene verabreicht. Die Betreiber schreiben weiterhin eine 1x wöchentliche Infusion wäre möglich. Aussagekräftige Studien zu derartigen, hohen Vitamin-Infusionen gibt es bisher nicht. Wie allerdings aus der Schulmedizin bekannt ist, kann eine Überdosierung von Vitamin B12 neurologische Störungen herbeiführen.

Einige Heilpraktiker*innen (Quelle: https://www.isolde-richter.de/kostenlose-angebote/aktuelles-und-rechtliches/zusammenarbeit-hp-und-event-agenturen-bezueglich-vitamininfusionen) und Wellness Verbände (Quelle: https://www.dmwv.de/verband/vitamin-infusionen-in-hotels-stellungnahme/) empfehlen die Vitamin-Infusionen ebenfalls eher nicht.

Mögliche Nebenwirkungen von einer zu hohen Vitamin-Einnahme wurden bereits nachgewiesen. Bei einer von Einnahme von 55 µg Vitamin B12 pro Tag wurde bei erwachsenen Männern über einen Zeitraum von 10 Jahren ein fast doppelt erhöhtes Risiko einer Lungenkrebserkrankung festgestellt im Gegensatz zu Männern, die keine zusätzlichen Vitamine zu sich genommen hatten. Die Vitaminpräparate wurden oral als Tablette eingenommen und nicht in die Vene verabreicht (Quelle: https://www.krebsinformationsdienst.de/fachkreise/nachrichten/2019/fk16-vorbeugen-vitamin-b-Lungenkrebs.php). Zu den bereits bekannten Nebenwirkungen von Vitamin B12-Überdosierung zählen unter anderem auch Schwindel, Durchfall, Erbrechen, Hautausschlag, sowie bei einer chronischen Überdosierung Schädigungen von Organen und des Nervensystems.

In unserer Praxis können Sie verschiedene Vitamine bestimmen lassen. Wir informieren Sie gerne über sinnvolle Vitamin-Substitutionen. Abschließend kann man sich auch heute noch an die uralte Weisheit des Schweizer Arztes Paracelsus halten, welcher auch auf die Überdosierung von Vitaminen angewendet werden kann: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.“